Der internationale Patient: Eine Herausforderung in der häuslichen parenteralen Ernährungstherapie

Healthcare Journal, B. Braun Melsungen AG, Juni 2012

Von Alger Tessin, Silke Frohmüller und Andrea Thöne

Die Globalisierung macht auch vor dem deutschen Gesundheitswesen nicht halt. Immer mehr Menschen internationaler Herkunft leben in Deutschland oder kommen nach Deutschland, um sich behandeln zu lassen. Krank und im fremden Land: Sich im Dschungel des deutschen Gesundheitswesens zurechtzufinden, ist für die meisten eine hohe Anforderung. Besonders schwierig wird es dann, wenn ein Patient eine komplexe Therapie benötigt, die auch nach einer Krankenhausbehandlung weitergeführt werden muss. So wie dies beispielhaft bei einer längerfristigen parenteralen Ernährung der Fall ist. Die behandelnden Ärzte, Patienten und Angehörigen stehen dann vor der Frage, wie der Patient auf lange Sicht ambulant versorgt werden kann.

Viele Patienten suchen Rat in Heidelberg. „Etwa 15 Prozent unserer Patienten sind internationaler Herkunft“, sagt Dr. Silke Frohmüller, Inhaberin des ärztlichen Beratungsinstituts PatientCONSULT mit Sitz in Heidelberg. Dazu zählen nicht nur Migranten, sondern auch Menschen, die im Ausland leben und wegen der hohen Behandlungsqualität in Deutschland Rat suchen. Ein Spezialgebiet des Instituts ist die ärztliche Beratung zur häuslichen parenteralen Ernährung. Sowohl Patienten wie auch allen an der Behandlung Beteiligten steht regelmäßig für alle Fachfragen und Organisation ein ärztlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Derzeit sind durchschnittlich 35 Patienten mit ambulanter parenteraler Ernährung in der Betreuung. „Eine parenterale Ernährungstherapie ist heute ambulant ebenso sicher und effizient durchführbar wie unter stationären Bedingungen, vorausgesetzt die Qualität stimmt“, sagt die Medizinerin, die selbst in 2001 ein Modellprojekt zur ambulanten Ernährungstherapie in Heidelberg aufbaute und davor bereits seit 1986 während ihrer Tätigkeit in der Universitätsklinik Patienten zu Hause betreute. Eine klare Indikationsstellung, eine gründliche Vorbereitung, qualifizierte Fachkräfte bzw. eine qualifizierte Schulung sind für die Ärztin Voraussetzung. Und: Alle Beteiligten müssten gut informiert und aufgeklärt sein. Die hohe Qualität in einer Behandlung im häuslichen Bereich erfordert immer Kenntnis und Berücksichtigung des Alltags der Betroffenen. Für Deutschland gibt es seit 1980 eine etablierte Beschreibung der verschiedenen Lebenswelten in unserer Gesellschaft, die Sinus-Milieus. Inzwischen gibt es Milieumodelle von China bis Kanada für 18 Nationen. Für Deutschland sind die Milieus für Menschen mit Migrationshintergrund beschrieben. Grundlegende Wertorientierungen gehen dabei ebenso in die Analyse ein wie Alltagseinstellungen – zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit, zu Geld und Konsum. „Weder die Menschen mit noch die Menschen ohne Migrationshintergrund sind eine soziokulturell homogene Gruppe. Vielmehr zeigt sich eine vielfältige und differenzierte Milieulandschaft“, erläutert B. Flaig, Geschäftsführer des Sinus-Instituts. Das macht die Kommunikation für alle Beteiligten häufig schwierig. „Wir sprechen oft verschiedene Sprachen“, sagt Frohmüller. Befunde und weitere Maßnahmen könnten deshalb oft nicht richtig besprochen werden, was wiederum zu Verunsicherung beim Patienten führe. Auch wissen die Patienten zu wenig über das Gesundheitssystem und seine Möglichkeiten.

Aus dieser Not hat das private Institut in Heidelberg eine Tugend gemacht. Das Team aus Ärzten verschiedener Fachrichtungen bietet inzwischen Beratung in den Sprachen Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch und Französisch an. Frohmüller: „Wir wechseln die Perspektive – wir gehen vom Patienten aus, schauen nach seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten, besprechen in seiner Sprache medizinische Befunde und Behandlungsmöglichkeiten. Anschließend kümmere sich das Team ganz praktisch um die Realisierung der Behandlung, von der Absprache mit unseren ärztlichen Kollegen bis zur Terminvereinbarung. „Für unsere Tätigkeit gibt es immer weniger Ländergrenzen.“

Diese Erfahrung machen auch die Hersteller. In Deutschland unterstützen sie mit speziell ausgebildetem Personal Krankenhäuser und Arztpraxen bereits routinemäßig bei der Betreuung von Patienten, wenn diese eine parenterale Ernährung benötigen. „Zunehmend sind in den letzten Jahren Anfragen zu der Organisation einer heimparenteralen Ernährung im Ausland“, berichtet Alger Tessin, Verantwortlicher der B. Braun Melsungen AG für die Umsetzung von heimparenteralen Ernährungsservices im internationalen Umfeld. Wenn zum Beispiel ein Patient verreisen oder ein in Deutschland lebender Ausländer seine letzten Lebenswochen in seinem Geburtsland verbringen möchte. „Diese Patienten stellen auch für uns immer eine Herausforderung dar“, sagt Tessin. „Wir fühlen uns moralisch verpflichtet, den Menschen bei der Verwirklichung dieses manchmal letzten großen Wunsches zu helfen.“ Dabei stellen Urlaubsreisen die kleinere Aufgabe dar. Tessin regelt solche befristeten Aufenthalte häufig über eine international arbeitende Apotheke in Kooperation mit einer Apotheke des jeweiligen Landes. Sie versorgt den Patienten für die Zeit mit dem gesamten Produktbedarf.

Anders sieht es bei einem längeren Aufenthalt oder gar einem Umzug aus. Dann muss eine Versorgung vor Ort in einem anderen Gesundheitssystem organisiert werden. Erst kürzlich habe die Firma einem Patienten mit Kurzdarmsyndrom beim Umzug von England nach Spanien geholfen. Ganz am Anfang stand die Frage, wie der Patient in dem Land krankenversichert sein würde. Anschließend kam die Versorgung vor Ort. Der B. Braun-Mitarbeiter klärt immer erst, ob die eingesetzten Produkte in dem jeweiligen Land überhaupt verkauft werden und wenn ja, von wem und wenn nicht, welche Alternativen es gibt. Weiter geht es mit der Suche nach einer Pflegeorganisation und einem weiterbehandelnden Arzt. Tessin: „Je nach Struktur des Gesundheitswesens des bestimmten Landes kann das mit einem hohen Aufwand verbunden sein.“

Die Pflegequalität, die für die Durchführung der Therapien absolut notwendig ist, ist keine Selbstverständlichkeit. „Am besten ist es, wenn die Patienten direkt von uns noch in Deutschland geschult werden können“, sagt Tessin. Dann benötige man nur noch jemanden für die Portversorgung, was meist nicht das Problem darstelle. Für die ärztliche Koordination der Behandlung und Überbrückung der vielfältigen Schnittstellen ist die Zusammenarbeit mit PatientCONSULT sehr hilfreich. Wichtig sei dabei, möglichst direkt und unbürokratisch zu sein. „Da die Menschen meistens auf eine absolut lückenlose Versorgung angewiesen sind und wir noch oft sehr spät eingeschaltet werden, ist Schnelligkeit gefragt“, sagt der B. Braun-Mitarbeiter.

„Die Behandlung zu Hause bedeutet für die betroffenen Patienten einen Zugewinn an Autonomie und besseren Kontakt zu Angehörigen und Freunden und damit eine eindeutige Verbesserung ihrer Lebensqualität“, sagt Frohmüller. Sie sei bestehenden Behandlungsalternativen vorzuziehen.

Die Zukunft liegt deshalb in der Entwicklung von Strukturen, die eine komplexe medizinische Betreuung der Patienten über die Länder-, Milieu- und Sprachgrenzen hinweg durchführen können.

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